Überlagerungen, Krachen, Prasseln, Fading, ein Dauerstörpegel von S9 und darüber - alles Phänomene, die man als Radio Amateur nicht besonders schätzt. Vor allem dann nicht, wenn das eigene Gehör mit zunehmendem Alter rapide nachlässt und auditive Diskrimination mehr und mehr zum Problem wird. Ich weiß, wovon ich rede: Meine Mutter war am Ende ihres Lebens gehörlos und ich bin mit 72 Windungen auf der Spule auf dem Weg dorthin.
Nun muss man im Amateurfunk ja nicht unbedingt auf Voice-Betriebsarten setzen: Ausweichen auf "Schriftliches" hilft bis zu einem gewissen Grad, macht den Funk-Alltag aber deutlich komplizierter - selbst wenn der Computer den Fernschreiber längst abgelöst hat. Gerade als hörbeeinträchtigter Radio Amateur kommt man in dieser Situation früher oder später auf die Idee, Signale eben nicht per störanfälligem Amateurfunk, sondern via Internet zu übertragen. Ein PC, ja sogar ein Tablet oder Smartphone, reicht dazu aus; sonstiges Equipment ist nicht erforderlich.
Hamsphere stößt übrigens genau in diese Lücke. Es "simuliert" Amateurfunkverkehr in ziemlich gekonnter Weise, verfügt m. W. auch über einen Textchat und steht sowohl Funkamateuren als auch Nichtlizenzierten gegen entsprechendes Entgelt offen. Vom Realismus und Funktionsumfang her deutlich abgespeckter und ausschließlich Funkamateuren zugänglich, präsentiert sich in diesem Segment noch CQ200 als Konkurrenzprodukt. Beiden Anwendungen gemeinsam ist, dass sie selbst keine HF ausstrahlen, sondern die Signalübertragung von Teilnehmer zu Teilnehmer ausschließlich via Internet erfolgt.
Ich frage mich allerdings schon lange: Ginge QSO-ähnliche Kommunikation via Internet nicht unkomplizierter als in den beiden angeführten kommerziellen Beispielen? Also ohne beträchtliche Extrakosten? Ohne Registrierung und Login? Ohne App-Download und Installation eines Clients? Ohne Manual-"Studium"? Ohne Störgeräusche? Stattdessen intuitiv und reduziert auf das, was Kommunikation via Amateur Radio schon lange einzigartig macht: Ich meine damit nicht Englisch oder CW, sondern Form, Inhalt und Zielsetzung der Kommunikation, die unter Rücksichtnahme auf hörbehinderte Teilnehmer (zumindest auch) schriftlich möglich sein sollte.
Bemerkenswert ist, dass der Packet Radio WorldWide Convers der späten 1990er-Jahre diesen meinen Zielvorstellungen schon recht nahekam und der Amateurfunk darin eigentlich nur noch zur Überbrückung der "Last Mile" vom und zum Internet diente. - Jahre sind seither ins Land gezogen und mittlerweile verfügt nahezu jeder europäische Haushalt, jedes Smartphone über einen direkten Zugang zum Internet. Vor allem aber existieren mittlerweile zahlreiche kostenlose Social Media - Dienste, die das nützen und das Kommunikationsbedürfnis der meisten Menschen befriedigen.
Der meisten - aber eben nicht aller! Es gibt sie immer noch: jene Minderheit, die sich mit Amateur Radio identifiziert, sich gern über "Technisches" mit Gleichgesinnten live austauscht oder auch nur hobbyhalber weltumspannend "QSOs" fährt und dieses Tun im Sinne einer eigenständigen Kommunikationskultur weiter hochhält - auch dann noch, wenn wegen "hardness of hearing" in Kombination mit QRN und QRM der klassische Amateurfunk ausscheidet.
Funktionsüberfrachtete Social Media - Dienste sind für diese Minderheit, ihren spezifischen Kommunikationsstil und die Pflege der Ham-Kultur nur bedingt brauchbar. Chat-Programme wiederum eignen sich zwar theoretisch besser, sind meist aber maßgeschneiderte Speziallösungen ("Dating"-Apps, Firmen-Chats usw.), die sich irgendwo zwischen den Polen kostenfrei/werbeintensiv und kostenintensiv/werbefrei einordnen.
Es gibt allerdings Ausnahmen. Die aus meiner Sicht vielversprechendste ist der Webchat tlk.io. Einige seiner Vorteile:
- kein Download, keine Installation eines Clients; tlk.io läuft zuverlässig im Browser von PCs, Tablets, Smartphones
- keine Registrierung, kein Login
- kostenlos
- keine Werbung
- einfach und intuitiv in der Anwendung
- live 1:1- oder Gruppenkontakte in jederzeit selbst erstellbaren Kanälen
- keine Verschlüsselung und damit offen wie der Amateurfunk selbst (was kommerzielle Nutzer wirksam fernhält)
- frei zugänglich für Hams und Nichtlizenzierte; daher gut zur Erstbegegnung mit Amateur Radio, seinen Gebräuchen und seiner speziellen Kommunikationskultur
- eventuell motivierend zum Erwerb einer Amateurfunklizenz
Grau ist alle Theorie! Deshalb auf zum Ausprobieren:
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Schreibe tlk.io in die Adresszeile deines Browsers. - Drücke Enter.
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Überschreibe auf der aufgerufenen Seite das Wort channel mit cqcqcq oder einer anderen Channel-Bezeichnung. Diese muss mindestens 3 zusammenhängende alphanumerische Zeichen (keine Umlaute, ß, Satzzeichen, Leerzeichen!) aufweisen. - Drücke Enter oder klicke Join.
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Dies bringt dich auf eine neue Seite. Überschreibe auf ihr das Wort Name mit deinem Amateurfunkrufzeichen (bzw. mit deinem Nickname). - Drücke Enter.
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Dies bringt dich auf eine neue Seite. Überschreibe auf ihr dein Amateurfunkrufzeichen (bzw. deinen Nickname) mit dem Text, den du an andere Chat-Teilnehmer aussenden möchtest, z. B. cq cq cq de oe5akm (= allgemeiner Anruf von OE5AKM). - Drücke Enter: Dies sendet deinen Text an alle Chat-Teilnehmer aus, die sich irgendwo auf der Welt auf deinem Channel (Kanal) aufhalten. Wie im richtigen Amateurfunk kann dir nun jemand antworten oder auch nicht. Wenn ja, kannst du zurückschreiben und so ein QSO führen.
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Herrscht auf deinem aktuellen (Anruf-)Channel reger QSO-Betrieb, wird es rasch unübersichtlich. In diesem Fall kannst du mit deinem QSO-Partner einen neuen Channel, z. B. 80m (oder 40m oder 20m oder 15m oder 10m oder auch andere) vereinbaren, auf den jeder von euch beiden wechselt. Dies geschieht am einfachsten dadurch, dass jeder von euch in der Adresszeile seines Browsers den dortigen Eintrag beispielsweise mit tlk.io/80m (je nach Vereinbarung!) überschreibt und mit Enter bestätigt. Und schon seid ihr beide im neuen Kanal 80m und könnt euer QSO fortsetzen...
Was das noch mit Amateurfunk zu tun hat? https://oe5akm.webador.at/gedankensplitter/1021381_amateur-radio-mehr-als-amateurfunk liefert eine Antwort: Manchen mag sie reichen, anderen nicht.
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